Die aktuelle Geschichte eines Gartzers

Veröffentlicht am 1 April 2022

Guten Tag,

mein Name ist Oliver Beckmann. Ich bin 37 Jahre jung und mit meiner Frau Anastasia Sheremet-Beckmann verheiratet. Meine Frau ist gebürtige Ukrainerin und wir leben mit unserem gemeinsamen 4jährigen Sohn Emil an der deutsch-polnischen Grenze in Gartz/Oder.


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Als der Krieg begann, bekam ich von Anastasia einen Anruf auf Arbeit. Sie weinte am Telefon und sagte, sie fährt zur Grenze nach Dorohusk und muss ihre Familie holen. Ich wusste in diesem Moment gar nicht was los war, machte bei mir auf Arbeit im Kindergarten das Radio an und hörte, es ist Krieg. Für mich war es in dem Moment nicht real. Ich sagte, sie soll umdrehen, sie könne dort nicht über die Grenze fahren. Aber sie setzte ihren Weg fort. 10 Tage wartete sie an der Grenze, half als Volontärin ankommenden Flüchtlingen, gab ihnen Essen und Trinken und hoffte, dass ihre Familie auch kommt. Sie schlief im Auto, nahm schon Beruhigungsmittel, um überhaupt ein Auge zu zubekommen und rief uns zu Hause nicht mehr an. Man hatte das Gefühl, sie hat uns vergessen. Aber im Nachhinein wusste ich, sie brauchte all ihre Kraft, um an der Grenze zu funktionieren. Zwei Minuten telefonieren, mehr war nicht drin, dann legte sie auf. In der Zeit gab mir meine Arbeit und meine Familie, die Arbeitskollegen und Kolleginnen halt. Wir redeten miteinander, das half uns.  Es half auch, dass wir privat eine Spendenaktion starteten. Das lenkte uns ab und wir merkten schon, wie hilfsbereit viele Menschen im Bekannten- und Verwandtenkreis waren. Innerhalb von zwei Tagen war die elterliche Garage mit Spenden voll und es lässt bis heute nicht nach. Immer noch fragen die Leute, was wir benötigen und wollen helfen.

Wir verstanden aber im Kreis der Familie nicht, wie man seine Familie hier von jetzt auf gleich alleine lassen kann und werden es bis heute nicht verstehen. Wir sind in Sicherheit aufgewachsen, Anastasia hat aber schon 2014 den ersten Krieg als Jugendliche miterlebt. Das prägte sie, denke ich und erzeugte den Willen, ihre Familie dieses Mal zu retten. Sie mussten fliehen mit Eltern und Geschwistern. Sie ging 2015 nach Stettin (Polen) zum Studium, während eine Schwester (Ira) in Brovary bei Kiew einen Kindergarten und die andere Schwester (Lena) ein Physiotherapiezentrum eröffnete. In Stettin lernte ich Anastasia kennen und lieben. Wir heirateten 2017 in Kiew, lebten während meiner Erzieherausbildung in Berlin und zogen dann nach Gartz, wo wir jetzt eine Eigentumswohnung haben, die auf Grund eines Wasserschadens aber noch nicht bewohnbar ist. Die fast zwei Wochen, die sie an der Grenze verbrachte, weckten in mir ein Gefühlschaos. Verzweiflung Trauer Wut alles war mal dort und verschwand wieder. Zwischenzeitlich sah ich meine Frau einmal im polnischen Fernsehen und dort stockte mir der Atem als sie sagte, sie würde über die Grenze gehen nach Kiew, um ihre Familie zu holen. Da habe ich innerlich schon Abschied genommen, weil mir klar war, wenn sie über die Grenze in die Ukraine geht kommt sie nicht mehr zurück.


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Am 05.03.2022 kam dann aber Gott sei Dank eine erlösende Nachricht von ihr, dass ihre Familie an der Grenze ist. Am Sonntag den 06.03.2022 kehrte sie zu mir zurück. Sie hatte Lena mit den zwei Kindern Timur und Arisha, ihre Cousine Natasha mit Baby und Schwester Uljana sowie Iras Kinder Kacia und Lera dabei. Ira ist an der Grenze umgekehrt und zu ihrem Mann Maxim zurück nach Brovary bei Kiew. Ira kam fünf Tage später mit der Mama Zoja bei uns an. So waren wir anfangs acht Leute mehr im Haus meiner Eltern, aber in Sicherheit. Als alle dort waren, lebten insgesamt dreizehn Leute im Haus meiner Eltern.

Mittlerweile sind unsere Familien bei Privatpersonen, die sofort ihre Hilfe anboten untergebracht. Herzensgute Menschen kann ich nur sagen und in einer Zeit, die von Egoisten und Selbstdarstellern geprägt ist, erweckt es in mir Hoffnung und Zuversicht.   Die Mutter Zoja und Schwester Ira arbeiten schon ehrenamtlich in der Freien Schule in Tantow und betreuen dort ukrainische Flüchtlingskinder und auch ihre eigenen Kinder. Das hilft, lenkt vom Kriegsgeschehen ab und gibt der Familie ein wenig Hoffnung.

Hoffnungslos ist aber das Verhalten in der Verwaltung des Amtes Gartz/Oder. Der Amtsdirektor Herr Frank Gotzmann war nicht bereit, mir einen Fahrauftrag für ein Feuerwehrauto zu unterschreiben. Seit 1997 bin ich in der Freiwilligen Feuerwehr Gartz/Oder und wollte mit dem Fahrzeug Spenden nach Stettin bringen. Der Amtsdirektor besaß aber vier Tage später die Frechheit, mich zu fragen, ob meine Frau ehrenamtlich für ihn etwas übersetzen könnte. Anastasia spricht russisch, ukrainisch, polnisch, englisch und deutsch. Weiter ging das Fehlverhalten in der Wohnbaugesellschaft Gartz, die sagte man könne keine Wohnungen für Flüchtlinge bereitstellen, da die Elektroanlagen mit Stand 70er Jahre zu alt sind und der Geschäftsführer dafür keine Verantwortung übernimmt. Komischerweise leben Deutsche dort problemlos. Der Supergau war dann aber das Einwohnermeldeamt Gartz/Oder, welches in der Sprechzeit verlangte, dass meine ukrainische Familie einen Extratermin machen soll, weil zehn Leute auf einmal zu viel sind und man bitte, an einem anderen Tag einzeln zu kommen hat. Das leitete ich an eine gute Bekannte weiter, deren Bekannte die Ausländerbehörde im Landkreis Uckermark leitet. Daraufhin durfte die Bearbeiterin des Einwohnermeldeamtes sich bei ihr telefonisch melden. Ihr wurde wahrscheinlich erklärt, was ihr Job ist. Und auf einmal ging alles wieder normal, ohne Extratermin und kleine Gruppe.

Mit freundlichen Grüßen 
Oliver Beckmann

Hier möchte ich nun allen Spendern und Helfern meinen herzlichsten Dank sagen und natürlich auch denen, die ich eventuell versehentlich vergessen haben sollte:
-Meinen Eltern Odett und Fred Beckmann
-Sylvia Steinhauser
-Heidi Wellnitz
-Petra Grade
-Kristin Schlöricke
-Katja Kohlheim
-Monika Storek
-Hans-Jürgen Ballenthin
-Inge und Reinhard Reppenhagen
-Bärbel und Karl-Heinz Krüger
-Michaela und Ralf Krüger
-Jens und Ines Grube
-Jenny und Uwe Neugebauer
-Petra Winter
-Familie Sandow
-Familie Lesener
-Familie Kerbs
-Thomas Winter
-Christina Ziebarth
-Familie Kitzrow
-Wiltraud Fiebelkorn
-Iwona und Michal Wakulinski
-Linda und Marc Rackel
-Gerda und Gerd Rackel
-Christian Rathjen
-Swantje Kasberg
-Barbara Karpruziak
-Inge und Ingo Müller
-Renate und Roland Scharmer
-Helga und Harald Zimmermann
-Rosemarie Ruh
-Jadwiga und Ingo Hagenstein
-Holger Miethling
-Ines Bröderdorf
-Christian Gerlach
-Ricarda und Martin Emeling
-Janet und Heiko Wiese
-Ronny Kenstel
-Kasia Serafin
-Nicole Stein
-Marcus Dollichon
-Familie Sommerfeld
-Familie Bädke
-Olaf Hagenstein
-Marisa Roth

sowie allen Familienmitgliedern.